Wer will denn schon segeln?
Segelschiffe sind etwas unglaublich Faszinierendes und auf dem Wasser sehr hübsch anzusehen. Die weissen Tücher, gehisst wie Friedensflaggen verheissen Gemütlichkeit, Erholung und Freiheit. In manch einem von uns werden wohl auch Träume geweckt, die Welt damit zu bereisen und ferne Ozeane zu erforschen. Doch bei vielen kann schon der Anblick eines Segelschiffs ein mulmiges Gefühl in der Magengegend auslösen. Alleine die Vorstellung, keinen festen Untergrund mehr unter den Füssen zu haben, kann Angst- und Panikschübe bewirken. Dazu kommt noch die allgemein bekannte Seekrankheit, welche bei vielen bereits hochkommt, wenn sie nur das Wort Segeln in einem Zeitungsartikel lesen.
Ich hatte irgendwie mit Segeln nie sehr viel am Hut. War für mich das eher etwas für das Pensionsalter. Sah ich mich mit über 70 Lenzen dann mit einem Champagnerglas in der Hand gemütlich auf dem Walensee bei Windstärke 0, einzig von der Strömung ein wenig herumgetrieben, die sonnigen Tage im Sommer geniessen. Dass der Wunsch nach mehr und Meer einmal aufkommen würde, lag weit weg von meiner Vorstellungskraft. Vor allem war ich der Meinung, dass Segeln etwas komplett langweiliges sei und mir dabei das Gesicht einschlafen würde.
Im Jahr 2012 begann ich, als leidenschaftliche Wasserratte und Kitesurferin, als Fahrlehrerin bei der kapitaench Motorboot auf dem Walensee zu schulen. Ein wackliger Untergrund war also für mich über Stunden hinweg nie ein Thema gewesen. Als Teammitglied der kapitaen.ch kam mir schnell der Gedanke, dass wir eine Motorboot- und Segelschule sind. So gelangte ich zur Überzeugung, dass ich als Lehrperson ebenso den Segelschein machen musste. Voller Tatendrang nahm ich also 2015 das Projekt in Angriff. Bei meiner zweiten Segelstunde hatte es dann auch tatsächlich Wind und das Segelschiff wurde gehörig auf die Seite gelegt. Für mich war das definitiv zu viel und ich erklärte, das Projekt Segeln für beendet. Der gefühlte Kontrollverlust an der Pinne und die Schieflage des Bootes war ein eindrückliches Erlebnis und machte mir klar, dass dies wohl nicht zu meinem liebsten Zeitvertreib werden würde.
Hätte ich da schon gewusst, wie sehr das Segeln mein Leben verändern würde, ich wäre bestimmt hartnäckiger dran geblieben.
Erst 2020 kam ich wieder mit dem Segeln in Kontakt, als ich auf dem Urnersee mit meiner Freundin auf einem Segelschiff zum Kitesurfen auslief. Da es zu wenig Wind hatte für eine Kitesession machten wir genau das, was ich mir unter Segeln immer vorgestellt hatte. Wir liessen uns mit der sanften Brise, mit einem Glas Prosecco in der Hand, sachte über den Teich schieben.
So kam es, dass ich 2022 dann endlich doch meine Segelschule bei meinem Teamkollegen der kapitaen.ch beendete und erfolgreich die Segelprüfung auf dem Bodensee absolvierte. Wohlgemerkt, Wind hatten wir in keiner meiner Segelstunden. Es reichte gerade so knapp, die geforderten Manöver zu erlernen. Fortan liess ich aber keine Gelegenheit mehr aus und nutzte die wenigen Windtage auf dem Walensee, um meine Segelkenntnisse noch ein wenig aufzubessern. Da wusste ich noch nicht, dass Segeln und Segelschiffe schon bald mein Leben bestimmen würden.
Nur gerade knapp ein Jahr später stand ich dann in La Rochelle am Bootssteg und stieg in Trimaran meines Kollegen Martin, welcher in den nächsten Monaten mein Zuhause sein würde. Wie sich das grosse Ding bloss segeln liess, war mir zu dem Zeitpunkt schleierhaft. Denn bisher war ich noch nie auf so einem grossen Segelschiff gewesen.
Schon zwei Tage nach meiner Ankunft war es dann soweit und Martin steuerte seine ‚Makani‘ aus dem Hafen. Gespannt und wissbegierig verfolgte ich die ausgeführten Arbeiten beim Ablegen von und liess mich über die vielen Anzeigen im Cockpit instruieren.
Der Wind nahm kontinuierlich zu und kaum aus der Hafenausfahrt wurden die Segel gesetzt. Alles klar, der Trimaran ging ganz schön ab auf dem Amwindkurs und auch die Krängung war nicht so schlimm aufgrund unserer drei Schwimmer. Ich genoss die Meeresluft und den blauen Himmel und fühlte mich wie im Paradies. Wenn auch nur kurz.
Die Wellen wurden immer höher und der Wind frischte auf über sechs Beaufort auf. Unser Grosssegel wurde gerefft und bereits nach der ersten Halse merkte ich, dass ich den Informationen nicht mehr folgen konnte. Mein Gesichtsausdruck schien mich verraten zu haben, denn sogleich bot mir Martin an, dass ich doch am besten das Ruder selber in die Hand nehmen solle. Das helfe in solchen Situationen immer. Gesagt, getan. Doch geholfen hat es nicht. Ich war seekrank und versuchte mit starrem Blick zum Horizont dem Unausweichlichen entgegenzuwirken und setzte mich schon mal näher an die Reling.
Glücklicherweise kam es jedoch nicht zum Äussersten und ich war dankbar und heilfroh, als wir wieder sicher im Hafen einliefen.
Meine Gedanken schweiften in die Zukunft und zur bevorstehenden Überquerung der Biskaya. Meterhohe Wellen und Windgeschwindigkeiten – bei welchen ich nicht mal mehr Kitesurfen gehen würde – warteten da draussen auf mich. Kein schöner Gedanke, denn die Überfahrt würde mindestens drei bis vier Tage dauern.
Meine Crewkollegen versuchten mir in den kommenden Tagen Mut zu machen und stellten es als „Normal“ hin, dass es einem schlecht wurde. Das könne jedem passieren, meinten sie, auch den härtesten Skippern.
Nie hätte ich gedacht, dass es mir in diesem Ausmass schlecht werden konnte. Der Gedanke, das Schiff zu verlassen und wieder mit dem Zug heimzufahren keimte in mir auf. Anscheinend war ich nicht für das Segeln gemacht, zumindest mein Magen nicht. Doch so schnell aufgeben wollte ich nicht. Schliesslich träumte ich von den Abenteuern und von weissen Sandstränden und einsamen Buchten.
In den folgenden Wochen segelten wir noch zwei weitere Male zu den vorgelagerten Inseln von La Rochelle. Leider wiederholte sich das Trauerspiel mit meinem Magen und der Gedanke an die Biskaya fühlte sich an wie ein bevorstehender Albtraum.
Da halfen auch alle netten und gutgemeinten Ratschläge meiner Truppe nichts. Ich war die Einzige, die apathisch auf der Flybridge sass und hoffte, dass wir schon bald wieder festen Boden unter den Füssen hatten während die übrigen Crewmitglieder die Ausflüge genossen und bei jeder Bewegung des Schiffs so richtig aufblühten.
Ich durchdachte die folgenden Tage alle Optionen, die in Frage kamen. Die Biskaya war im November schon ziemlich starker Tobak. Und meine Vorfreude auf Palmeninseln wurde überschattet von Gedanken, doch lieber in Zukunft wieder mit dem Flugzeug zu verreisen anstatt tagelang mit grünem Gesicht an der Reling zu hängen.
Zum Glück liessen mir die Umstände dann nicht mehr so viele Möglichkeiten, die Reise abzubrechen. Denn plötzlich ging es Schlag auf Schlag und der Tag der Abreise war gekommen.
Ich hoffte darauf, dass sich mein Magen mittlerweile an die Bewegungen an Bord gewöhnt hatte, lebte ich doch bereits schon seit über vier Wochen auf dem Segelschiff im Hafen.
Als der Skipper kurz vor unserer Abreise unser stolzes Schiff nochmals zur Tankstelle steuerte, hatte ich wohl schon mindestens mein drittes Stugeron® (Medikament gegen Reisekrankheit) intus. Viel hilft vielleicht auch viel, dachte ich.
Als wir dann endlich definitiv ablegten und zur Hafenausfahrt fuhren, war der Wunsch auszusteigen und den Zug zu nehmen in weite Ferne gerückt. Jetzt war ich bereit für das Abenteuer Segeln. Auch wenn es heissen würde, dass ich mich die nächsten Tage an der Reling festmachen musste. Au revoir La Rochelle, hallo Leben.